ZURIGA
Wir haben Moritz Güttinger, den Gründer von ZURIGA in Zürich getroffen und mit ihm über die Entstehungsgeschichte seiner Firma, lokale Produktion und die Herausforderungen von fairem Wirtschaften gesprochen. Außerdem erklärt er uns, warum er kein Globalisierungskritiker ist und weshalb eine Firmenphilosophie nicht zu ätherisch sein sollte. Im Gespräch mit Sören, Gründer von muli cycles.
Moritz, da ich regelmäßig in Zürich bin, habe ich hier nach spannenden Projekten gesucht, die lokal produzieren, wirtschaften, wirken, gestalten, die eigene Wege suchen. So sind wir über ein paar Ecken in Kontakt gekommen, und du hast sofort gesagt: "Ja, gerne, lass uns sprechen, komm vorbei." Genau das haben wir jetzt getan. Und ich freue mich auf den Austausch.
Schön, dass ihr da seid! Und schön, dass ihr eure Räder mitgebracht habt. Wir haben zuhause noch so ein altes über 10-jähriges Kastenvelo – es fährt sich herrlich "zurückgelehnt", wie ein Lastwagen vermutlich. Aber ich schau immer ein bisschen neidisch auf meine Freunde mit ihren wendigen Mulis. Sie sind ausnahmslos glücklich mit ihrem Kauf. Umso schöner, dass ihr jetzt hier seid.
Wenn du euer Tun in zwei Sätzen zusammenfassen müsstest – wie würden die lauten?
Wir bauen Espressomaschinen hier in eigener Manufaktur in Zürich. Wir montieren sie nicht nur selber, sondern haben im Unterschied zu vielen Herstellern auch eigene Design- und Engineering-Teams – alles hier unter einem Dach, mitten in der Stadt.
Wie muss ich mir die Entstehung von ZURIGA vorstellen? Wann ging es los? Was war der Auslöser? Gab es einen Plan oder glückliche Umstände?
Als ich damals mit meiner Freundin in die gemeinsame Wohnung zog, haben wir uns als erstes ein Sofa gekauft – und dann eben eine Espressomaschine. Und mit dieser Espressomaschine bin ich einfach nicht glücklich geworden. Ich hab sie aufgemacht und war erstaunt. Die Technik war offenbar in den 1980er Jahren stehengeblieben, das Metallgehäuse klapprig und die verbauten Komponenten zum grössten Teil aus Plastik. Eigentlich war klar: "Das sollte doch besser, sorgfältiger und technologischer gehen".
Aber das ist ja noch kein Grund, gleich eine Firma zu gründen?
Ich komme nicht aus einer Unternehmerfamilie, meine Freunde sind Lehrer, Ärztinnen oder arbeiten bei der Feuerwehr – alles keine Unternehmerinnen also. Und trotzdem hat mich Unternehmertum fasziniert. Dass man aus einer vagen Idee, ein Produkt entwickeln kann, ein Produkt, das am Schluss jemand will und tatsächlich mit echtem Geld bezahlt: das fand ich schon faszinierend. Und als dann in dieser Zeit ein Ingenieurs-Kollege seinen Job kündigte, um ein nachhaltiges Hemden-Startup zu gründen, war ich so weit. Das probier ich jetzt auch.
Was ist seither passiert?
Ganz kurz im Schnelldurchlauf? Ich hab meine Ersparnisse zusammengekratzt, zusammen mit Designerinnen und Ingenieuren einen Prototypen entwickelt und diesen Prototypen in einem Crowdfunding angeboten. Die 20 Maschinen waren innerhalb von drei Minuten ausverkauft. Heute, acht Jahre später, sind wir gut 30 Leute, haben weitere Maschinen und Mühlen entwickelt und haben eigene Läden in München und Zürich. Wir sehen Wachstum nicht als Ziel, sondern als Konsequenz von interessanten Projekten. Und diese interessanten Projekte brauchen wir, damit wir wirklich gute Leute an Bord holen können.
Wann seid ihr hier in diese tollen Hallen der Denkstatt eingezogen? In unserem Teaser kann man die Atomsphäre des Ortes sehr gut spüren, wie ich finde. Hell, klar und offen. Ein altes Bahnareal, richtig?
Wir sind 2018 als "Pionier-Mieter" hier eingezogen, die SBB-Leute waren noch überall auf dem Areal, echter Industrie-Charme. Die Toiletten lagen im Nachbargebäude und auf dem Weg dahin musste man eine Warnweste tragen – weil hier auch tonnenschwere Fahrgestelle der Bahnwaggons transportiert wurden. Im Winter wars saukalt und im Sommer brütend heiß. Seit zwei Jahren sind wir jetzt hier im sanierten Gebäudeteil. Die Atmosphäre haben die Architektinnen bewahren können. Und im Winter brauchts jetzt keine Wollsocken mehr …
War von Anfang an klar, dass ihr lokal produzieren wollt? Was bedeutet euch dieser lokale Ansatz?
Nähe ist uns wichtig, es ist einer unserer drei Grundwerte. Wichtig ist uns aber primär die "kulturelle Nähe". Wir müssen Dinge ausprobieren, wir müssen scheitern können - und dann daraus lernen. Wenn wir morgens ein Qualitätsproblem beim Gehäuse feststellen, dann wollen wir das möglichst sofort am Telefon besprechen und notfalls nachmittags noch hinfahren zu unserem Produktionspartner. Falls wir da kein gemeinsame Qualitätsverständnis haben – oder aus kulturellen Gründen erst zweimal Mittagessen gehen müssen – dann sind wir zu spät.
Interessanterweise überschneidet sich kulturelle Nähe meist mit der geographischen Nähe. Wir sind Swiss Made zertifiziert, beziehen also den größten Teil aus der Schweiz. Einzelne Komponenten – vor allem die klassischen Espressomaschinen-Teile – produzieren unsere Partner in der Lombardei und dem Piemont. Und dann gibt es selbstverständlich auch Komponenten, die wir aus Fernost beziehen. Wir haben ein Aludruckguss-Teil aus Taiwan und auch die Elektronik-Komponenten beziehen wir von den großen Herstellern in Asien.
Wir haben letztes Jahr ein Modell rausgebracht, bei dem wir versucht haben, alle Teile, die am Rad verbaut werden, in Europa einzukaufen. Das muli Motor eu. Zu 90% ist es uns gelungen, aber wir mussten auch den Preis erhöhen.
Ich persönlich bin kein Globalisierugnskritiker – im Gegenteil. Es ist durchaus sinnvoll, dass Güter dort produziert werden, wo die Menschen das am besten können, wo die Voraussetzungen gut sind. Wichtig ist mir die Einhaltung von Standards. Wenn also ein Fahrradrahmen aus Vietnam einfach günstiger ist, weil dort die Arbeiterinnen und Arbeiter nicht gut geschützt werden, dann sollten man von dort keine Rahmen kaufen. Oder noch besser: darauf hinwirken, dass die Menschen besser geschützt werden. Ich vermute, dass ihr bei eurem eu 90%-Projekt viel gelernt habt über die Lieferketten im Fahrradgeschäft – wenn ihr mit diesem Wissen in den nächsten Jahren ein günstiges Elektro-Lastenrad anbieten könnte, dann habt ihr auf der ganzen Linie gewonnen.
Ja, das ist eine sehr nachvollziehbare Perspektive. Ich denke auch man benötigt einen sehr differenzierten und genauen Blick, um dem Thema gerecht zu werden. Nicht alles ist überall verfügbar. Aber wir positionieren uns hier sehr klar und wollen den Ansatz des lokalen Produzierens ausreizen, gerne viel Wertschöpfung inhouse haben. Die Verfestigung internationaler, wirtschaftlicher Monokulturen halte ich für problematisch. Lokale Vielfalt ist einfach Resilienz stiftend und ich denke auch sinnstiftend – das alte Thema der Entfremdung. Es ist doch toll, dass es auch Kaffeemaschinen aus Zürich gibt, oder? Und die lokale Produktion ermöglicht uns natürlich die Auswirkungen unseres Handelns viel direkter und besser zu erkennen. Das macht ganzheitliches Gestalten – was unser Anspruch ist – viel realistischer. Und wir sind mit unseren Rädern gleichzeitig auch preislich absolut konkurrenzfähig. Wir liegen im mittleren Preissegment, bei einer Rahmenproduktion in Deutschland und der Verwendung von recyceltem Stahl aus Norddeutschland.
Das hast du sehr treffend gesagt. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
Mich interessiert noch, ob ihr für euch eine Firmenphilosophie ausformuliert habt? Findet ihr die Zeit für ein solch konzeptuelles Denken? Wie geht ihr mit der Frage "Warum überhaupt" um?
Ja, die grundsätzlichen Fragen diskutieren wir oft – gerne auch beim gemeinsamen Mittagessen. Vor drei, vier Jahren hatten wir Purpose, Mission, Vision sehr offen, fast schon "ätherisch" formuliert, im Sinne von "wir wollen Menschen und Firmen inspirieren, sich zu verändern". Das war zwar intellektuell interessant, hat uns aber die Bodenhaftung verlieren lassen. Mittlerweile gibt’s ein Grundsatzfragen-Papier. Das halten wir möglichst profan. "Was unterscheidet ZURIGA-Produkte von der Konkurrenz?", "Was braucht ein ZURIGA Produkt, damit wir es ins Portfolio aufnehmen?". "Produzieren wir weiterhin selber und weiterhin in der Stadt?". Aber auch "Warum muss ZURIGA profitabel sein?" oder "Soll ZURIGA wachsen?".
Einfach Fragen also, die aber gar nicht so einfach zu beantworten sind. Diese Grundsatzfragen sollten sich über die Jahre nur wenig verändern – und dürfen aber jederzeit in Frage gestellt werden. Die Unternehmensziele leiten wir dann daraus ab.
Ah, spannend. Dieser konkrete Fragenkatalog ist gut. Zwischen mir und meinem Bruder gab es immer ein klares Grundverständnis welche Werte für uns zählen. Aber es war nie wirklich ausformuliert oder verschriftlicht. Gerade in den letzten zwei bis drei Jahren, als wir auch noch einmal stark gewachsen sind, haben wir aber gemerkt, wie wichtig es ist, das konkret zu machen und sich dafür Zeit zu nehmen.
Ja, das ist die Logik, die sich durch fast alle Bereiche zieht, wenn Projekte größer werden.
Ich habe bei euch eine sehr lockere und offene Atmosphäre erlebt. Wie schafft ihr einen Teamzusammenhalt? Mit euerer Fertigungstiefe habt ihr ja auch sehr unterschiedliche Jobs im Haus.
Wir mögen die Mischung aus "locker im Umgang" und "es trotzdem wirklich ernst meinen". Wir nehmen Rücksicht aufs Privatleben – hier hats Familienväter, Gleitschirmfliegerinnen und passionierte Surferinnen – und gleichzeitig verlangen wir uns viel ab. Technologisch (z.B. in Sachen Energieeffizienz und Temperaturstabilität) sind wir so weit vorne, dass die Konkurrenz unsere Maschinen jeweils gleich bei der Lancierung kauft und bei sich ins Labor stellt. Und diese Technologie verbinden wir mit sorgfältigem Design und einer handwerklichen Produktion. Auch diese Montage verlangt uns alles ab. Es reicht, wenn eine einzige Schraube falsch montiert ist – dann haben wir in Genf, Hamburg oder Wien eine enttäuschte und ziemlich verärgerte Kundin.
Welche Vertriebsstrategie verfolgt ihr aktuell?
Wir verkaufen ausschließlich online und über unsere eigenen Stores in Zürich und München. Wir müssen also keine teuren Handelsmargen auf unsere Produkte schlagen. Nirgendwo gibt es so viel Maschine, so viel Technologie fürs Geld.
Ja, wir kennen den Konflikt mit dem Handel. Wir sind ursprünglich auch als Direktvertreiber gestartet. Aber bei einem Fahrrad, zumal einem Spezialrad, spielt das Testen und Probefahren eine wichtige Rolle. Mittlerweile vertreiben wir primär über den Fachhandel. Eure Kaffeemaschinen kann man nicht wirklich testen, oder?
Wir haben ja eigene Stores in München und Zürich, dort nehmen wir uns Zeit für alle Fragen und schenken Espresso aus, bis die Finger zittern. Und trotzdem kaufen die meisten Leute, ohne je in einem ZURIGA Store gewesen zu sein. Unser größter und erfolgreichster Werbe-Kanal sind tatsächlich zufriedene Besitzerinnen. Und gleichzeitig bauen wir auch das gute alte Telefon aus. Menschen wollen schnell anrufen können, wenn bei der Maschine etwas nicht funktioniert. Und sie wollen dann nicht mit einem Chatbot reden …
Habt ihr externe Investoren oder finanziert ihr euch selbst? Und wie beeinflusst das eure Wachstumsstrategie?
Wir sind bootstrapped, haben also keine externen Investoren. Bis jetzt hat sich das als Glücksfall herausgestellt. Ich spreche oft mit Leuten aus der VC-Welt (VC = Venture Capital, Anm. der Redaktion) und finde, dass diese Denke auch vielerorts Sinn macht. Wir für uns haben in den letzten Jahren gelernt, dass wir nicht mehr als 30% wachsen sollten. Das System beginnt zu wabern, Prozesse kommen nicht nach, die Übersicht geht verloren. Wir bauen keine Software, unsere Geräte bestehen aus mehr als 300 Teilen, die wir von über 30 Produktions-Partnern beziehen. Wir haben also eine weitgehend unelastische Produktion – entsprechend langfristig planen wir unsere Produktionskapazitäten. Demgegenüber steht aktuell eine hohe Nachfrage und so wartet man zurzeit mehr als fünf Monate auf die ZURIGA. Das ist nicht ideal, aber erstaunlicherweise reisst die Nachfrage nicht ab.
Wir hatten bei muli natürlich auch sehr stark mit den Herausforderungen der Skalierung zu kämpfen. Im Grunde brauchten wir da immer wieder die Fähigkeit, Altbekanntes ganz neu zu sehen und dann auch neu zu organisieren. Wie habt ihr das erlebt?
Ich habe gute Erinnerungen an die Zeiten, als wir bei ZURIGA jeweils am Mittagstisch diskutiert und gleich entschieden haben. Mittlerweile ist das alles grösser und professioneller geworden. Und trotzdem versuchen wir vieles davon mitzunehmen in die heutige Zeit und vor allem auch in die Zeit, die noch kommt.
Moritz, ich danke dir für feine Gespräche und den guten Kaffee!
Vielen Dank für Besuch und Austausch. Ich freu mich darauf, euch weiter zu verfolgen. Und ich freu mich, wenn ihr wiederkommt. Lasst nur bitte eines eurer Velos hier!
Mehr über ZURIGA unter: https://zuriga.com | https://www.instagram.com/zuriga.coffee/
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