Pröddeln am Stadtrand

Malte Brenneisen ist Freier Schreiber, Feuerwehrmann und Mobilitätsfan. Er zog mit seiner Familie in eine WG an den Stadtrand. Ein Gespräch über den Perspektivwechsel, Künstliche Intelligenz und fehlende Vorbilder.

04.04.2025
muli meets

Hey Malte, wer bist du, wie verbringst du deine Zeit?

Hey! Danke für die Einladung zu diesem Format und die fast philosophische Einstiegsfrage. Ich bin Malte Brenneisen, 37 Jahre alt – und gerade vor allem Familienvater, freiwilliger Feuerwehrmann und Medienschaffender. In der Reihenfolge. Wenn dann noch Zeit übrigbleibt, verbringe ich sie gerne in oder unter meinem alten VW-Bus, im Wald oder in den Bergen.

Ihr wohnt hier an einem zauberhaften Ort, habt vor ein paar Jahren den Schritt aus dem Stadtzentrum hinter den Stadtrand gemacht. Was hat sich dadurch in dir verändert? Was macht dieser Lebensraum mit dir?

Am Wochenende war ich beim so genannten "Parkzauber", ein Sommerfest, das am Haus der Natur vom Verein Jordsand e.V. sowie der Nachbarschaft ausgerichtet wird. Es gab zum Beispiel Bastelangebote für Kids, Aufführungen des örtlichen Zirkus- und Turnvereins und ein Tanzzelt. Ein blinder Mann hat darin auf einem Keyboard arabische Musik performt, dazu schwoften alle: groß, klein, alt, jung, dick, dünn, verschiedene Hautfarben, mit Rolli oder Trisomie 21. Am Buffet wurden Waffeln gebacken, es gab Wildwurst oder Gemüsepfanne, ein Teil des Erlöses wurde an die Letzte Generation gespendet. Ich habe mich pudelwohl gefühlt. Das macht dieser Ort mit mir – er ist für mich ein gutes Gegengewicht zu den schwierigen Themen, die mich, die uns alle umgeben.

Wie sieht der Sternenhimmel hier aus?

Wenn ich so drüber nachdenke, schaue ich zu wenig nach oben. Und wenn doch, sehen wir hier vor allem das Leuchten der Stadt.

Ein Ort der alles kann, gibt es sicher nicht, welche Herausforderungen bringt das Leben hier mit sich?

Wo viel Platz ist, sind weniger Menschen. Das ist oft schön, manchmal aber auch eine Herausforderung. Wenn ich mit meinen Kindern auf einen Spielplatz gehe, sind wir da in der Regel allein. Die Familien haben hier eigene Turn- und Spielgeräte in ihren Gärten. Das Gewimmel vom Kemal-Altun-Spielplatz in Ottensen fehlt mir dann sehr. Und jetzt, im Sommer, muss ich mich wieder entscheiden, welcher Teil des Gartens sterben soll. Es ist einfach unmöglich und unverantwortlich, alles zu gießen. Aber hey, das sind meine Luxusprobleme.

Wenn du dir einen idealen Lebens- Wohnort basteln könntest, wie sähe der aus?

Nicht zu weit draußen, er muss per Bahn oder Bus erreichbar sein. Wenn möglich, wäre er eine Wohngemeinschaft, oder zumindest ein Wohnort mit offenen Türen, die man nie abschließen muss. Mit lieben Nachbarinnen und Nachbarn, die sich gemeinsam organisieren und unterstützen – und keine Zäune hochziehen, um sich voneinander abzuschotten. Außerdem braucht es an dem Ort eine Art "dritten Raum", der weder Arbeit noch Zuhause ist. Für mich ist das zum Beispiel unser Schuppen, in dem ich Pröddeln kann, also sinnlos an etwas tüfteln, herumschrauben oder Chaos verursachen kann – und dabei laut Musik höre.

Was könnte die Stadt vom Dorf und was das Dorf von der Stadt lernen

Sharing is caring. Das gilt für beide Lebensräume. Auf dem Dorf habe ich eine Ausbildung zum Freiwilligen Feuerwehrmann gemacht – ein spannendes Biotop, in dem ich gerne mitwirke und wirklich nützliche Dinge lerne. Das hätte ich schon in der Stadt machen sollen. Bietet eine super Chance, die eigene Blase zu verlassen – und etwas Systemrelevanteres zu machen.

Du fährst schon lange muli zuerst in der Stadt, jetzt hier. Wie hat sich die Nutzung geändert?

Hand aufs Herz: In der Stadt habe ich es täglich gebraucht, hier kommt es nur noch selten zum Einsatz. Die Strecken sind weiter, es gibt viele Sand- und Schotterwege, die sich bei Regen in Matsche verwandeln. Außerdem habe ich nun mehr Korbinhalt: zum Hund kamen zwei Kinder dazu.

Sehr verständlich, allerdings muss man sagen, du bist hier draußen mit dem muli Muskel unterwegs.

Ja, tatsächlich, ein E-Antrieb für mehr Schuuuuuuub ist hier eigentlich ein Muss.

Aber Hamburg scheint eh ein kompliziertes Mobilitäts-Rätsel zu sein. Es gibt wirklich nur einen Tunnel und eine Brücke nach Süden.

Wie mobil seid ihr?

Ich schätze, ich bin bei jedem Mobilitätsangebot in Hamburg angemeldet, Carsharing, E-Scooter, E-Roller, Fahrräder – und natürlich der ÖPNV. Je nach Weg, Anlass und Transportvolumen nutze ich das Passende. Manche Angebote setzen sich für mich durch, andere verschwinden wieder. Besonders cool: Im Kreis Stormarn gibt es das Angebot "hvv hop",  das sind Strom-Großraumtaxis, die Menschen vom Bahnhof oder der Bushalte zu ihrem Zuhause bringen oder andersrum. In unserem Fall kostet der Weg 1 Euro.

Glaubst du an die Mobilitätswende?

Jedes Mal, wenn ich mit dem Rad am Deichtorplatz in Hamburg stehe, verliere ich wieder die Hoffnung. Andere Städte kriegen das schon viel besser hin, da ist die Rangordnung schon jetzt "Mensch vor Blech", also Fußverkehr, Radverkehr, motorisierter Verkehr. Aber Hamburg scheint eh ein kompliziertes Mobilitäts-Rätsel zu sein. Es gibt wirklich nur einen Tunnel und eine Brücke nach Süden. Hoffentlich müssen da nie schnell alle gleichzeitig hin.

Als jemand der beruflich auch mit der Produktion von Texten beschäftigt ist, wie erlebst du die aktuelle KI-Entwicklung?

Ich wurde zur Zeit des Drehscheibentelefons geboren. Heute trag' ich einen Bildschirm in der Hose, von dem ein Avatar von mir mit imitierter Stimme und Redensart mit dir Facetimen kann. Wenn ich mir vorstelle, dass ich irgendwann nicht mehr auf der Welt bin und das trotzdem noch funktioniert: gewöhnungsbedürftig, aber vielleicht auch gesellig – zum Beispiel für hinterbliebene Mitmenschen, die einsam in einem Pflegeheim oder Hospiz liegen müssen?

Andere KIs könnten dir heute schon die Fragen in diesem Interview beantworten – und, ehrlich gesagt, korrigieren sie bereits jetzt viele meiner Texte. Sie transkribieren Audio-Interviews für mich, unterstützen mich beim Schreiben von Überschriften (wie diese), Vorspännen und Übersetzungen. Kurzum: Ich lieb’s! Ich glaube, es ist falsch, sich als Inhaltsschaffender davor zu verschließen. Deshalb sauge ich alles auf, was es gibt – und biete Brauchbares auch transparent als Dienstleistung meinen Kund*innen an.

Was wünscht du dir für die nächsten Jahre?

Neue Vorbilder! Ich habe in den letzten Jahren das Vertrauen in unsere Politik verloren, scheitere manchmal auch an unserem Demokratieverständnis und der Globalisierung. Föderalismus wird immer komplizierter – die Reichen werden immer reicher und was an den EU-Außengrenzen und insbesondere auf dem Mittelmeer passiert, sind untragbare Verbrechen, die wir mittragen. Sorry für die Polemik am Ende … aber jede noch so schöne Eisbärendoku muss mit dem schmelzenden Eis enden.

Danke für das Gespräch!

Fotos 1 & 5: Martin Oelze